Neuerscheinungen

Amor Towles: Lincoln Highway

Wie viele von Ihnen haben den „Gesang der Flusskrebse“ verschlungen und geliebt??

Es gibt einen würdigen Nachfolger, der in spannend – packender Weise mit allen

Höhen und Tiefen das Abenteuer der Brüder Emmett und Billy entlang der ersten Autobahn

Amerikas in den Fünfzigern erzählt.

Emmett, ein wortkarger Achtzehnjähriger, wird nach einem Jahr Jugendstrafanstalt nach

Hause entlassen, wo ihn sein kleiner Bruder Billy sehnsüchtig erwartet, um sich mit Emmett

auf die Suche nach der Mutter zu machen, welche die Familie vor vielen Jahren plötzlich

verlassen hatte und nur ihre 4 Postkarten an die Söhne in etwa das Ziel angeben.

Der Vater ist gestorben, die Farm gehört der Bank und somit wird die Suche der Weg in

ein neues Leben.

Wären da nicht zwei ehemalige Mitinsassen von Emmett, Duchess und Woolly, die

sich kurzerhand bei Emmett`s Entlassung mit abgesetzt haben und ein eigenes Ziel

verfolgen. Gemeinsam begeben sich die vier Jungs in Emmett`s hellblauen Studebaker auf die Reise,

vom ländlichen Mittelamerika über New York nach San Fransisco, hinein in ihr

vielleicht größtes Abenteuer mit vielen spannenden Begegnungen, die oftmals nur mit

viel Glück gut enden. In ihrer Unterschiedlichkeit haben alle Vier eins gemeinsam, den unerschütterlichen Mut und Glauben an ihr Unternehmen, auch wenn sie tatsächlich immer mal wieder aus sehr überraschenden Gründen getrennt ihren Weg fortsetzen.

Grit Konietzko

  • Autor/enAmor Towles
  • VerlagHanser
  • Preis26€
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Maria Barbal: Die Zeit, die vor uns liegt

Die katalanische Autorin Maria Barbal hat mit „Die Zeit, die vor uns liegt“ einen kleinen, feinen Roman vorgelegt! Der Roman fesselt, weil er lebendig und doch still geschrieben ist. Er stimmt nachdenklich und wird nach dem Lesen in Kopf und Herz bleiben.

Elena und Armand lernen sich in einem Yoga-Kurs kennen. Er fühlt sich von ihr angezogen, und so lädt er sie zum Kaffee ein. Die beiden gehen von da an regelmäßig nach dem Yoga ins Café, und dabei bleibt es nicht.

Armand ist verrentet und verwitwet; Elena ist zwar verheiratet, aber seit vielen Jahren nicht mehr glücklich. Über eine Trennung jedoch hat sie nie ernsthaft nachgedacht.

Die Liebe trifft die älteren, etwas einsamen Menschen unverhofft. Und das unerwartete Gefühl, die neue Nähe zu einem Menschen, zwingt beide dazu, sich mit ihrer Vergangenheit und mit ihren Beziehungen zu den „Nächsten“ auseinanderzusetzen. In Armands Fall ist das die schwierige Beziehung zu seinem Sohn. Elena muss sich vor allem entscheiden, wie es mit ihrer Ehe weitergehen soll.

Maria Barbal legt behutsam Elenas und Armands Narben und Wunden frei. Die Liebenden in fortgeschrittenen Lebensjahren werden sich bewußt, dass die Vergangenheit ihre Gegenwart zwar beeinflußt, sie aber trotzdem eine neue Freiheit entdecken und leben. Die Endlichkeit ist ihnen realer, und der Wunsch, schöne und frohe Momente zu erleben, umso größer, seine Erfüllung um so wichtiger.

Carola Mirhoff

  • Autor/enMaria Barbal
  • VerlagDiana
  • Preis22€
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Monica Ali: Liebesheirat

Ein tolles Buch für den Urlaub oder Wochenende auf dem Balkon:


Jasmin und Joe wollen heiraten. Sie ist die Tochter indischer Einwanderer nach Großbritannien, er der Sohn einer Feministin und Autorin, die viele Jahre zuvor eine Art medialen Skandal provozierte. Wie kann das gut gehen, hier die extrovertierte Single-Frau, dort die Familie, in der über Sex nicht gesprochen werden darf?
Nun steht das Kennenlernen der Brautpaareltern an.
Jasmin befürchtet, es könne zum Eklat kommen, weil die
kulturellen und sozialen Hintergründe der Familien einfach zu
verschieden sind.

Mit vielen komödiantischen Einfällen beginnend, fällt der Einstieg
in das dicke Buch ganz leicht. Die Figuren wachsen den
Leser*innen sofort ans Herz. Was als Komödie begann, droht in
eine familiäre Tragödie zu kippen. Doch so simpel ist es nicht,
zum großen Glück für die Lesenden.

Der Zusammenprall der Kulturen verlangt den Figuren viel
Fähigkeit zur Veränderung, zu Toleranz und Liebe ab. Die
Herausforderungen, denen diese Familien sich zu stellen haben,
sind die Aufgaben, die eine jede Gesellschaft zu meistern hat, die
bunter wird. Und es ist zu schaffen.
„Liebesheirat“ ist sehr gut geschriebene erstklassige Unterhaltung
mit Tiefgang. Nie wirkt der Roman mit gesellschaftlichen Themen
überfrachtet, nie wird er langweilig. Monica Ali schreibt spannend
und stets voller Respekt ihren heterogenen Protagonist*innen
gegenüber.

Carola Mirhoff

  • Autor/enMonica Ali, Übersetzung: Dorothee Merkel
  • VerlagKlett
  • Preis25€
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Matthew B. Crawford, Die Philosophie des Fahrens: Warum wir gern am Steuer sitzen und was das mit Freiheit zu tun hat

Diese Buch ist so vieles: eine emotionale, philosophische, subjektive, soziologische und auch humorige Betrachtung des Fahrens, also der Nutzung eines Werkzeuges zur Fortbewegung.

Er beschreibt die Faszination des Lenkens, das Spüren der Straße, den Wunsch nach Geschwindigkeit, die Begeisterung für die Technik, den Motorsport und das Gefühl von Geborgenheit im eigenen „Cockpit“.

Es ist kein Pamphlet für freies Fahren für freie Bürger, es glorifiziert nicht den Spaß am Autofahren, aber es verherrlicht auch nicht den technischen Fortschritt in Hinsicht auf Autonomes Fahren.

Er schließt in seine Philosophie des Fahrens auch Zweiräder ein und deren „politische“ Dimension

Für Crawford ist sein Buch vor allem politisch, denn er legt dar,

was kann es heißen, wenn der Mensch immer mehr Aufgaben des eigenständigen Fahrens abgeben muss an das selbstfahrende Auto.

Crawford ist der Meinung, dass der Mensch Fertigkeiten und Fähigkeiten verlieren würde, die er zur Nutzung eines komplexen Werkzeuges zur Fortbewegung braucht. Und das nicht nur im motorischen Sinne, sondern auch im Sinne sozialer Fähigkeiten. Denn die Teilnahme am Straßenverkehr bedarf der Fähigkeit, mit den anderen Verkehrsteilnehmern zu interagieren, kooperieren und improvisieren. Ein passiver Teilnehmer, wie der Passagier im selbstfahrenden Auto, wird leicht lenkbar. Er verliert in gewisser Weise demokratische bürgerliche Fähigkeiten. Seine Selbstbestimmtheit wird für eine Sicherheit beschnitten, die das Autonome Fahren verheißt. Beschworen wird diese Sicherheit von wenigen Firmen des Silicon Valley. Die Sicherheit wird zum Selbstzweck. Die Politik hinterfragt nicht, sondern übernimmt die Kampagne und macht daraus eine Art moralischen Ruf nach Sicherheit.

Das wiederum bedingt Überwachung und Überregulierung und somit den Verlust von Eigenverantwortung. Crawfords Meinung nach verschärft dieser Überwachungskapitalismus die Krise der Demokratie.

Crawfords Philosophie des Fahrens ist ein sehr facettenreiches Buch und somit sehr lesenswert nicht nur für leidenschaftliche AutofahrerInnen!

Carola Mirhoff

  • Autor/enMatthew B. Crawford, Übersetzung: Stephan Gebauer
  • VerlagUllstein
  • Preis26,99€
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Ralf Rothmann: Die Nacht unterm Schnee

Ralf Rothmann zu lesen, macht mich immer glücklich. Dabei schreibt er keine schnulzigen, „Alle-haben-sich-lieb“ und „Alles-wird-gut-Bücher“. Im Gegenteil: (auch) in seinem neuen Roman geht es um das Leben von jungen Leuten in der Nachkriegszeit, die versuchen, ihr Leben trotz schwerer seelischer Verletzungen weiterzuleben. Das schaffen sie nur begrenzt und geben ihre Verletzungen dabei unbewusst an ihre Kinder weiter.

Ralf Rothmann aber schafft es, mit wenigen Worten Figuren zu zeichnen und Lebenslagen zu entwerfen, die unmittelbar vor dem inneren Auge des Lesenden entstehen und ihn entführen in ein anderes Leben. Für mich ist Rothmann der Charismatiker unter den heutigen deutschsprachigen Autor*innen.

Ok, genug gelobhudelt!

Worum geht es in diesem Buch?

Im Mittelpunkt stehen Elisabeth und Gustav. Sie ist lebenslustig und verdient ihr Geld als Servierkraft. Gustav ist schön, ernsthaft und arbeitet als Melker. Als sie schwanger wird, heiratet das gegensätzliche Paar und zieht auf den Bauernhof, auf dem Gustav arbeitet. Ihr Leben ist geprägt von Arbeit, Armut, Dreck und Kälte.

Ein zweites Kind kommt, die Not wird noch größer. Als Elisabeth eines Diebstahls bezichtigt wird, zieht die kleine Familie vom Kieler Land nach Oberhausen, wo der Vater sich als Arbeiter unter Tage verdingt. Das Leben ist nicht mehr so entbehrungsreich, doch die Mutter kann nicht mit Geld umgehen, und der Vater wird immer stiller. Das Schweigen zwischen Elisabeth und Gustav verbindet sie, ist es doch für sie beide die einzige Möglichkeit mit ihren Kriegs-Seelen-Verletzungen zu leben. Die Kinder leiden darunter wie auch unter den unberechenbaren Gewaltausbrüchen der Mutter.

Diese Geschichte ist die Geschichte von Rothmanns Eltern. Seine letzten beiden Bücher haben dies bereits thematisiert, aber unter ganz anderen Gesichtspunkten. Deshalb ist es nicht notwendig, „Im Frühling sterben“ und „Der Gott jenes Sommers“ zu kennen. Dieser Roman leuchtet für sich.

Die Romanfigur, aus dessen Augen die Geschichte erzählt wird, ist rein fiktiv. Luisa ist die Tochter der Wirtin, bei der Elisabeth arbeitet, ein paar Jahre jünger als diese und auf ihre Art auch recht lebenslustig. Sie hat die Schrecken des Krieges viel weniger erleben müssen als Elisabeth, lebt nicht in Armut und studiert Bibliothekswesen. Diese Luisa dient Rothmann wie ein Filter, seine Mutter objektiver zu sehen und über sie zu schreiben, als es ihm als Sohn mit einem lebenslang gespannten und belasteten Verhältnis zu ihr möglich zu sein schien.

Carola Mirhoff

  • Autor/enRalf Rothmann
  • VerlagSuhrkamp
  • Preis24€
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Hansjörg Schertenleib: Die grüne Fee

Zehn Jahre nach der Einladung seines Freundes Christian Aplanalp zu dessen 60. Geburtstag erhält Arthur Dold einen Brief und ein Päckchen von der damaligen Haushälterin seines Freundes. Nun muss er sich mit den Ereignissen des 7. Januar 2010 auseinandersetzen, die dem rational denkenden Mann die Grenzen von Realität und Übersinnlichem immer mehr verschwimmen ließen.

Hansjörg Schertenleib hat mit „Die grüne Fee“ eine Gespenstergeschichte vom Feinsten geschrieben: ein Schauerstück , das den Lesenden Schauer über den Rücken bescheren kann. Dabei ist diese Geschichte voller unerhörter Ereignisse ein sprachlicher Genuss. Und sie ist voller literarischer Anspielungen:

Dold heißt mit Vornamen Arthur wie Conan Doyle.

cm

  • Autor/enHansjörg Schertenleib
  • VerlagKampa
  • Preis16,90€
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Judith W. Taschler: Über Carl reden wir morgen

Finden Sie Ihr Glück und behalten Sie es

Im österreichischen Mühlviertel ist dieser Familienroman angesiedelt, der im Jahre 1828 beginnt und in den Jahren nach Ende des 1. Weltkrieges endet. Dort betreibt die Familie Brugger erfolgreich eine Mühle. Albert Brugger eröffnet das erste Kaufhaus in der abgelegenen Region, und trotz aller Mühsal und Härte führt die Familie ein auskömmliches Leben.

Traditionen, Kaisertreue und Familienbande stehen über allem, verkrusteten Strukturen kann kaum jemand entkommen. Das gilt für alle drei Generationen, von denen Judith W. Taschler erzählt und ihre Protagonisten dabei mannigfache Schicksalsschläge, Träume, enttäuschte Hoffnungen, Intrigen und Verwerfungen durchleben lässt.

Manchmal versucht ein Familienmitglied den enggezogenen Grenzen zu entkommen. Doch ein jedes kommt aus unterschiedlichen Gründen zurück.

Auf gut 450 Seiten werden die Figuren von allen Seiten beleuchtet. Die Autorin lässt uns dafür die gleichen Sachverhalte durch die Augen mehrerer Protagonisten sehen. Entstanden ist ein bunter Familienroman mit vielen Mitwirkenden, überraschenden Drehs und raffinierten Einfällen. Der Roman erzählt auch ein Stück österreichische Geschichte und beschreibt dabei anschaulich die Lebensverhältnisse während der einhundert Jahre.

Wie bei einem guten Familienroman lässt sich mitleiden und mitfiebern, es bilden sich besondere Sympathien für einzelne Figuren und ein Groll gegen andere. Am spannenden Ende des Romans fällt einem wichtigen Satz im Leben der Zwillinge der dritten Generation Eugen und Carl eine entscheidende Bedeutung zu.

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  • Autor/enJudith W. Taschler
  • VerlagZsolnay
  • Preis24€
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Stewart O’Nan: Ocean State

Ich freue mich auf jedes Buch von Stewart O’Nan: es ist immer traurig, es ist immer tragisch, aber es strahlt immer Wärme und Liebe aus: zu seinen Figuren, zur Welt. Es gibt kein Schwarz und Weiß, in jedem und allem steckt ein bischen Gutes.

Diesmal erzählt Stewart O’Nan eine verhängnisvolle Dreiecksgeschichte zwischen Teenagern, Spielort ist ein kleines Kaff in der Provinz von Conneticut. Wie in all seinen Romanen verwebt O’Nan subtil Einzelschicksale mit größeren gesellschaftlichen Kontexten.

Im Mittelpunkt des tragischen Geschehens in „Ocean State“ stehen die Familien Angels und Birdys, den beiden Kontrahentinnen um Myles, einen Mitschüler der beiden auf der Highschool. Er stammt, im Gegensatz zu den Mädchen, aus einer wohlhabenden Familie.

So ist es fast zwangsläufig auch das reiche Elternhaus Myles’, was den hübschen Jungen noch attraktiver für die Mädchen macht. Angel ist seit einigen Jahren mit ihm zusammen und nicht nur eifersüchtig auf Birdy, weil diese etwas mit Myles anfängt. Sie hat auch große Angst, dass ihre Träume von einem besseren, leichteren Leben an der Seite eines Mannes aus besseren Kreisen zerplatzen könnten.

Es gibt zwei Erzählstränge: in dem einen erzählt Marie, die jüngere Schwester Angels, wie es zum Tod von Birdy kommen konnte. Dass Angels Wut in Gewalt und Totschlag führt, verrät Marie im ersten Satz ihrer Rückschau auf die fatalen Ereignisse, die mittlerweile über zehn Jahre zurückliegen.

Im anderen Erzählstrang wird das Geschehen abwechselnd aus den Augen der Mutter Maries und Angels Carol, der verliebten Birdy und der wütenden Angel erzählt. Ihr aller zerrissenes, durch Unsicherheit und Verlustängste bestimmtes Innenleben wird so sichtbar. Und damit auch der meist vergebliche lebenslange Kampf der sozial Schwächeren um Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Aufstieg und gegen die Resignation.

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  • Autor/enStewart O’Nan
  • VerlagRowohlt
  • Preis24€
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