Worum geht's?

Für mich ist „Macht“ ein nachhaltig beeindruckender Roman über ein paar Menschen und Familien in einem Ort bei Hamburg im Jahre 2031. Karen Duve zeichnet ein düsteres Zukunftsszenario mit Details, die zuerst völlig unrealistisch erscheinen. Aber schon am nächsten Morgen werden sie von den neuesten Zeitungsmeldungen diverser Ressorts ein Stück wahrscheinlicher: die verjüngende Pille, ein altmodisches Markensystem, das den Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch und Kraftstoff reglementiert, die nicht aufzuhaltende Klimakatastrophe u.v.m. Das sind beeindruckende Details, die auch Wochen nach der Lektüre im Leser immer wieder aufpoppen.

Duves Figuren verkörpern zum Beispiel typische Vertreter aus der Politik, wie Sebastian Bürger, der Ich-Erzähler des Romans. Für den ehemaligen politischen Aktivisten ist der im Jahre 2031 vorherrschende Staatsfeminismus zum ganz persönlichen Problem geworden: so hält er seine Frau seit ein paar Jahren in einem zum Gefängnis umgebauten Kellerraum gefangen, wo sie ihm stets zu Diensten zu sein hat. Zuerst berauscht er sich an seiner Macht, doch glücklich macht sie ihn auch nicht. Auch sein Retro-Kult hilft ihm nicht. Der im Gegensatz zu anderen Figuren Duves blass gezeichnete Sebastian Bürger bietet an keiner Stelle die Möglichkeit der Identifikation mit ihm. Er würde sich bestens in Houellebeqcs Frankreich der ebenfalls nahen Zukunft integrieren. Er und andere Figuren führen uns vor Augen, daß keine moralische Grenze Gier und Lust mehr Einhalt gebietet, wenn das Ende (der Welt) nahe ist.