Worum geht's?

Ralf Rothmann zu lesen, macht mich immer glücklich. Dabei schreibt er keine schnulzigen, „Alle-haben-sich-lieb“ und „Alles-wird-gut-Bücher“. Im Gegenteil: (auch) in seinem neuen Roman geht es um das Leben von jungen Leuten in der Nachkriegszeit, die versuchen, ihr Leben trotz schwerer seelischer Verletzungen weiterzuleben. Das schaffen sie nur begrenzt und geben ihre Verletzungen dabei unbewusst an ihre Kinder weiter.

Ralf Rothmann aber schafft es, mit wenigen Worten Figuren zu zeichnen und Lebenslagen zu entwerfen, die unmittelbar vor dem inneren Auge des Lesenden entstehen und ihn entführen in ein anderes Leben. Für mich ist Rothmann der Charismatiker unter den heutigen deutschsprachigen Autor*innen.

Ok, genug gelobhudelt!

Worum geht es in diesem Buch?

Im Mittelpunkt stehen Elisabeth und Gustav. Sie ist lebenslustig und verdient ihr Geld als Servierkraft. Gustav ist schön, ernsthaft und arbeitet als Melker. Als sie schwanger wird, heiratet das gegensätzliche Paar und zieht auf den Bauernhof, auf dem Gustav arbeitet. Ihr Leben ist geprägt von Arbeit, Armut, Dreck und Kälte.

Ein zweites Kind kommt, die Not wird noch größer. Als Elisabeth eines Diebstahls bezichtigt wird, zieht die kleine Familie vom Kieler Land nach Oberhausen, wo der Vater sich als Arbeiter unter Tage verdingt. Das Leben ist nicht mehr so entbehrungsreich, doch die Mutter kann nicht mit Geld umgehen, und der Vater wird immer stiller. Das Schweigen zwischen Elisabeth und Gustav verbindet sie, ist es doch für sie beide die einzige Möglichkeit mit ihren Kriegs-Seelen-Verletzungen zu leben. Die Kinder leiden darunter wie auch unter den unberechenbaren Gewaltausbrüchen der Mutter.

Diese Geschichte ist die Geschichte von Rothmanns Eltern. Seine letzten beiden Bücher haben dies bereits thematisiert, aber unter ganz anderen Gesichtspunkten. Deshalb ist es nicht notwendig, „Im Frühling sterben“ und „Der Gott jenes Sommers“ zu kennen. Dieser Roman leuchtet für sich.

Die Romanfigur, aus dessen Augen die Geschichte erzählt wird, ist rein fiktiv. Luisa ist die Tochter der Wirtin, bei der Elisabeth arbeitet, ein paar Jahre jünger als diese und auf ihre Art auch recht lebenslustig. Sie hat die Schrecken des Krieges viel weniger erleben müssen als Elisabeth, lebt nicht in Armut und studiert Bibliothekswesen. Diese Luisa dient Rothmann wie ein Filter, seine Mutter objektiver zu sehen und über sie zu schreiben, als es ihm als Sohn mit einem lebenslang gespannten und belasteten Verhältnis zu ihr möglich zu sein schien.

Carola Mirhoff